Von Simon Müller, Christoph Maurer, Lion Hirth
Der Stromausfall in Spanien und Portugal in der vergangenen Woche markiert eine Zäsur in der Geschichte europäischer Stromversorgung. Einen so großflächigen, vollständigen und langfristigen Blackout gab es zuletzt im Jahr 2003 in Italien. Die Ursachen sind noch nicht geklärt – es wird vermutlich Wochen oder gar Monate dauern, bis die Geschehnisse wirklich verstanden sind. Gut möglich, dass eine Kombination von Faktoren ausschlaggebend war, so, wie bei einem Flugzeugabsturz ein technischer Defekt, schlechtes Wetter und ein Pilotenfehler zusammenkommen können.
Was ist bisher bekannt und welche Konsequenzen können gezogen werden? Das Stromnetz besteht technisch und organisatorisch aus zwei Ebenen. Erstens dem Übertragungsnetz, das auch mit den Nachbarländern verbunden ist. Und zweitens gibt es zudem regionale Verteilnetze, die jeweils an dieses Übertragungsnetz angeschlossen sind.
Ein kompletter Ausfall ist extrem selten
Die allermeisten Stromausfälle gehen auf Probleme im Verteilnetz zurück und sind deshalb lokal sehr begrenzt – zum Beispiel, wenn ein Bagger versehentlich eine Leitung durchtrennt. Ein Ausfall des kompletten Übertragungsnetzes ist extrem selten. So wurden etwa selbst während der massiven Stromausfälle in den Jahren 2021 in Texas oder 2006 in Europa zwar Teile des Verteilnetzes abgeschaltet, das Übertragungsnetz blieb dabei jedoch in Betrieb.
Anders am letzten Montagmittag: Hier fielen die Übertragungsnetze von Spanien und Portugal und damit auch die Verteilungsnetze aus. Alle Kraftwerke, Wind- und Solarparks wurden vom Netz getrennt: ein Blackout. Ein Stromnetz kann man nach einem Blackout nicht einfach wieder anschalten wie das Licht in der Wohnung. Vielmehr muss der Netzwiederaufbau Schritt für Schritt erfolgen. Erst am Dienstagmorgen war deshalb die Versorgung wieder weitgehend normalisiert.
Wesentliche Details der Geschehnisse sind nach wie vor unklar, aber einiges ist inzwischen bekannt:
• Frequenzmessungen registrierten von 12:03 Uhr an unübliche Schwingungen, die sich zunächst stabilisierten, um dann von 12:19 Uhr an abermals aufzutreten, dieses Mal europaweit.
• Berichten zufolge kam es außerdem zu starken Schwankungen der Netzspannung.
• Um 12:33 Uhr verzeichnete das Stromnetz in Spanien zwei oder drei Frequenzabfälle, möglicherweise verursacht durch den Ausfall von Erzeugern. Der Netzbetreiber verortet die Ausfälle im Südwesten Spaniens.
• Weniger als zwei Sekunden später wurde das Stromnetz der Iberischen Halbinsel vom Rest Europas getrennt.
• In der folgenden Sekunde fiel die Netzfrequenz weiter, vermutlich durch den massenhaften Ausfall von Erzeugungsanlagen, und es kam zum vollständigen Ausfall des iberischen Stromnetzes.
Aktuell ist noch unklar, was die Erzeugungsausfälle ausgelöst hat, welche Anlagen betroffen waren und ob dies im Zusammenhang mit den Oszillationen steht. Auch die Ursache der Netztrennung ist nicht vollständig geklärt. Gesicherte Daten zu Frequenz, Spannung und Erzeugung der unterschiedlichen Technologien liegen bisher noch nicht vor.
Verfügbare Daten haben sich im Nachhinein häufig als unzuverlässig herausgestellt. So suggerierte die Datenplattform des spanischen Netzbetreibers am Montagnachmittag, dass weiterhin erhebliche Teile der Nachfrage gedeckt würden, was sich jedoch als falsch erwiesen hat. Die falschen Daten blieben online und werden etwa von Medien immer wieder aufgegriffen. Kurz vor dem Blackout lieferten Wind und Sonne rund 70 Prozent des iberischen Stroms. Dies ist relevant für die Netzstabilität, weil die schweren, rotierenden Generatoren in Wasser-, Kern- oder Gaskraftwerken direkt mit dem Netz gekoppelt sind und es durch ihre Schwungmasse stabilisieren („Momentanreserve“).
Die Technik ist grundsätzlich verfügbar
Anders Wind- und Photovoltaikanlagen: Diese sind über Wechselrichter mit dem Netz verbunden. Bisher verbaute Wechselrichter leisten nur einen eingeschränkten Beitrag zur Netzstabilität. Moderne, sogenannte „netzbildende“ Wechselrichter, könnten jedoch einen umfassenden Beitrag zur Netzstabilisierung leisten. Die Technik ist grundsätzlich verfügbar, doch kommt die Einführung nur schleppend voran.
In Spanien und Portugal war die verfügbare Momentanreserve niedrig. Ob mehr Momentanreserve einen Blackout vermieden hätte und welche Auswirkungen das Verhalten der Wechselrichter auch jenseits der Momentanreserve zum Beispiel in Bezug auf Spannungsschwankungen auf den Störungshergang hatten, kann erst eine detaillierte Untersuchung zeigen.
Unabhängig vom konkreten Hergang erinnert die Störung noch einmal daran, dass die Netzstabilität in einem von Wind und Solar dominierten Stromversorgungssystem eine hohe Bedeutung hat und aktiv verfolgt werden muss.
Worauf muss das deutsche Netz achten?
Kann ein vergleichbarer Blackout auch in Deutschland auftreten? Um diese Frage seriös zu beantworten, müssen erst die Ursachen des Ausfalls in Spanien verstanden sein. Das hiesige Stromnetz ist viel engmaschiger in das europäische Gesamtnetz eingebunden und dadurch resilienter – aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es auch hier nicht.
Der Handlungsbedarf hinsichtlich der Netzstabilität wurde in Deutschland schon identifiziert. So arbeitet die Bundesnetzagentur seit Längerem an einem Konzept für die Momentanreserve, das auch netzbildende Wechselrichter einschließt. Um insgesamt den Systembetrieb für sehr hohe Anteile von Erneuerbaren fit zu machen, sind die folgenden drei Punkte besonders zentral:
• Erstens muss die in der letzten Legislatur unter der Federführung der Bundesregierung erarbeitete sogenannte Roadmap Systemstabilität konsequent und zeitnah umgesetzt werden.
• Zweitens muss der Einsatz netzbildender Wechselrichter forciert werden – gegebenenfalls auch durch verbindliche Standards für bestimmte Erzeugungsanlagen.
• Drittens unterstreichen die Ereignisse in Spanien, welche Bedeutung dem europäischen Stromverbund und damit dem grenzüberschreitenden Netzausbau bei der Gewährleistung von Versorgungssicherheit zukommt.
Und wie bei einem Flugzeugabsturz gilt auch mit Blick auf den Blackout in Spanien und Portugal: Nur eine sorgfältige Aufarbeitung ermöglicht es, aus Fehlern zu lernen und das System für die Zukunft sicherer zu machen.
F.A.Z. vom 10.05.2025